Der Fall „Schavan“

Erst Guttenberg – jetzt Schavan

Wenn man vorhat (in Deutschland) in die Politik zu gehen, sollte man sich bei einem vorhergehenden Studium wohl gut überlegen, wie und welche Dissertation man verfasst und sich darauf gefasst machen, dass in 10, 20 oder 30 Jahren bestimmt irgendwer auf die Idee kommt, die Arbeit auf jede nur erdenkliche Art und Weise  auf mögliche Plagiate zu überprüfen – selbstverständlich nach den wissenschaftlichen Standards von heute und nicht von der Zeit, in der die Arbeit geschrieben wurde. Bisher ging ich eigentlich davon aus, dass wissenschaftliche Arbeiten – egal ob Diplomarbeiten, Doktorarbeiten oder Masterarbeiten – vor dem Abschluss des Studiums und damit vor Erlangen eines allfälligen Titels von den dafür zuständigen Universitätsprofessoren auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards geprüft werden. Offenbar habe ich mich in diesem Punkt getäuscht, denn anders lässt sich mir die aktuelle Debatte um die deutsche Bildungs- und Forschungsministerin (Dr.) Annette Schavan (CDU) nicht erklären oder aber die vorhin genannten Standards haben sich in der Zeit zwischen Erlangen des Doktortitels und heute so weitgreifend verändert, dass Dissertationen von 1980, die die Plagiatsprüfung bestanden haben, heute dabei durchfallen würden. In letzterem Fall wäre die aktuelle Debatte  allerdings – in meinen Augen zumindest – unnötig und außerdem demütigend und rufschädigend für Frau Schavan.

Lediglich für die Medien ist die ganze Geschichte natürlich ein gefundenes Fressen. Das Frau Schavan noch dazu Bildungs- und Forschungsministerin ist, passt ebenso zu einem guten Skandal wie der Titel ihrer Dissertation: Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit u. Erfordernissen heutiger Gewissensbildung. Wenn die ganze Angelegenheit erstmal in die Öffentlichkeit gelangt ist, werden die „Plagiatsjäger“ freilich erst recht nicht weniger werden. Aber wenn man genau schaut, wird man wohl – da bin ich mir relativ sicher – in vielen Dissertationen fehlende Quellenangaben, falsche Zitierweise oder sonstige Verstöße gegen die wissenschaftlichen Standards finden. Nur bei den meisten dieser Arbeiten interessiert das schlicht niemanden, da die Mehrheit nunmal nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht und außerdem kein „böser“ Politiker oder Bankbetreiber ist.

Sollte die Dissertation bereits 1980 nicht den – damaligen – Vorschriften diesbezüglich entsprochen haben, hätte sie nach meiner Meinung den Doktortitel nie erhalten dürfen. Allerdings hätte das den damaligen Prüfern eigentlich auffallen müssen, was aber offensichtlich nicht der Fall war – entweder waren also die zuständigen Professoren schlampig oder Frau Schavans Doktorarbeit war einwandfrei oder aber sie hat die Arbeit so geschickt plagiiert, dass es den Prüfern nicht auffallen konnte. Letzteres wäre natürlich nicht tolerabel, und in so einem Fall würde man die Ministerin zurecht kritisieren und eine Aberkennung des Doktortitels wäre auch zulässig und wohl auch nötig. Für mich lesen sich die Vorwürfe in den Medien allerdings so, als ob die Dissertation damals sehr wohl den Standards entsprochen habe – auch ihr Dozent der die  Arbeit 1980 prüfte, bestätigt das. Und generell sollte man vielleicht auch daran denken, dass das Erlangen eines Doktortitels mehr voraussetzt als das Schreiben einer einzigen wissenschaftlichen Arbeit…