Die Erhöhung der Nachmittagsbetreuung für Kinder ist in unserem Land definitiv nötig, zumindest wenn es keine Bestrebungen gibt, die Gesellschaft im Allgemeinen und die Arbeitswelt im Besonderen kinderfreundlicher zu gestalten. Derzeit wird besonders die sogenannte „Ganztagsschule“ für diesen Zweck forciert.Ich persönlich kann einer Ganztagsschule allerdings nicht viel abgewinnen und zwar aus mehreren Gründen.
Erstens werden in den Medien und auch von einigen Politikern die Begriffe „Ganztagsschule“ und „Halbtagsschule mit Nachmittagsbetreuung“ gerne vermischt, diese meinen aber nicht das Gleiche. In einer gewöhnlichen Halbtagsschule mit Nachmittagsbetreuung haben die Kinder wie bisher vormittags Unterricht und nachmittags machen sie in der Schule die Hausaufgaben und gehen Freizeitbeschäftigungen nach. Sie können am Nachmittag grundsätzlich zu beliebigen Zeiten von den Eltern abgeholt werden – eventuell nicht unbedingt beim Essen oder während der Hausaufgabenstunde.
In einer Ganztagsschule hingegen findet der Unterricht „verschränkt“ statt, das heißt man hat beispielsweise von 8 bis 9 Uhr Mathematik, von 9 bis 10 Uhr eine Freizeitstunde Sport und irgendwann am Nachmittag von 14 bis 15 Uhr Deutsch. Unterricht und Freizeit wechseln sich also ab. Daher können die Kinder auch nicht zu beliebigen Zeiten am Nachmittag abgeholt werden, sondern erst am Ende des Schultages. Das ist im Gegensatz zur Halbtagsschule mit Nachmittagsbetreuung eine deutliche Einschränkung der Flexibilität der Eltern, da es dadurch nicht möglich ist, die Kinder früher abzuholen bzw. heimzuschicken. Der zweite wichtige Punkt betrifft die Räumlichkeiten und die finanziellen Aufwendungen die für den Ausbau der Ganztagsschule nötig sind. Es ist nun einmal Fakt, dass die meisten öffentlichen Schulen nicht dafür gedacht sind, dass die Kinder den ganzen Tag dort verbringen. Es gibt oft keine Freizeiträume, keine Ruheräume, keine freien Turnsäle, möglicherweise nicht einmal eine Bibliothek oder Bücherei, geschweige denn einen großen Garten oder freien Sportplatz. Dies führt natürlich dazu, dass die Kinder dann in den Klassenzimmern essen müssen, die Hausaufgaben in der Klasse machen – wo auf den Tischen nicht gerade viel Platz zum Ausbreiten der Lernunterlagen zur Verfügung steht, Gesellschaftsspiele spielen und vielleicht einmal am Tag in den Turnsaal gehen. Dazu kommt der unvermeidliche Lärm der anderen Schüler, dem die Kinder praktisch den ganzen Tag ausgesetzt sind. Ein Kind das Ruhe sucht, wird wohl ebenso auf verlorenem Posten stehen, wie eines das lieber mit seinen Freunden außerhalb der Schule spielen möchte.
Im Übrigen sehen viele öffentliche Schulen bereits ohne diese Räumlichkeiten oft äußerst desolat aus: Die Möbel sind alt und abgekratzt, die Tafel quietscht, von den Wändern blättert die Farbe ab, auf den Toiletten gibt es nur das billigste Klopapier wenn überhaupt etc. Ich frage mich hier ehrlich, wo das Geld für diese ganzen Renovierungen und Ausbauten herkommen soll, zumal es gerade für Schulen in den Städten schwierig ist, etwa einen Schulgarten neben der Schule zu errichten, da es einfach keinen Platz dafür gibt?
Gerne wird als positives Argument einer Ganztagsschule die Chancengleichheit und Talentförderung angeführt. Ersteres erschließt sich mir nicht. Warum soll eine gewöhnliche Halbtagsschule Kindern keine gleiche Möglichkeiten eröffnen? Hierauf wird gerne behauptet, dass die Kinder in Ganztagsschulen ihre Hausaufgaben gleich in der Schule erledigen könnten, wo sie jederzeit den Lehrer fragen könnten, wenn sie Hilfe benötigen. Das ist sicherlich richtig, aber eigentlich sollten Hausaufgaben so konzipiert sein, dass die Kinder eben gerade nicht um Hilfe fragen müssen, sondern diese allein erledigen können, was auch die Selbstständigkeit fördern würde. Außerdem könnte zumindest ich mich in einer Klasse wo noch zwanzig andere Kinder sitzen, definitiv nicht so gut konzentrieren wie an meinem Schreibtisch zuhause, wo ich nicht durch Gekicher, ständiges Papierrascheln, Schritte oder durch die Nachbarklasse gestört werde, die gerade ihre Freizeitstunde laut spielend im Hof verbringt. Und für Prüfungen muss dann erst wieder am Abend zuhause gelernt werden, da dies in der Schule weder zeitlich noch räumlich sinnvoll möglich ist.
Was die Förderung von Talenten betrifft, befürchte ich sogar eher einen Rückgang, da sich das Freizeitangebot an den Schulen natürlich nach Angebot und Nachfrage richten wird. Die typischen Kurse wie Klavier, Blockflöte und Fußball werden wahrscheinlich angeboten werden, aber was ist, wenn ein Kind beispielsweise lieber Akkordeon spielen möchte oder Leistungssport im Verein betreibt? Wenn die Kinder erst um 16 oder 17 Uhr von der Schule nach Hause kommen, werden sie in der Regel bereits zu müde für derartige Kurse sein, falls um diese Uhrzeit überhaupt noch welche angeboten werden.
Überhaupt muss man die biologische Uhr der Kinder berücksichtigen. Kinder werden deutlich früher müde und sind auch nicht so belastbar wie Erwachsene. Wenn diese Kinder jetzt acht Stunden am Tag in der Schule verbringen müssen, kommt das durchaus dem Arbeitstag eines vollzeitbeschäftigten Erwachsenen nach – denn auch Basteln in einer Gruppe lauter Kinder kann anstrengend sein, wenn es zum Zwang wird und in einer Ganztagsschule ist eben auch die Freizeit genau durchgeplant, denn anders ist die Betreuung einer großen Anzahl Kinder nicht möglich. So gibt es zum Beispiel montags eine Freizeitstunde Sport, mittwochs eine Stunde Basteln und freitags werden Ausflüg gemacht. Das klingt zwar alles gut und schön, aber als Kind war ich immer sehr froh, wenn ich mir meine Freizeit komplett selber einteilen konnte. Natürlich, wenn das Kind den ganzen Tagen am Computer sitzt oder nur Klavier spielt, dann müssen die Eltern einschreiten, aber grundsätzlich sind Kinder durchaus in der Lage sich mehrere Stunden selbst zu beschäftigen und sind oft froh darüber. Freilich muss man hier auch die Unterschiede zwischen Land und Stadt berücksichtigen. Auf dem Land ist es für Kinder definitiv einfacher und ungefährlicher im Freien zu toben als in der Stadt.
Ich denke zwar durchaus, dass es gerade im städtischen Bereich Schulen gibt, die sich gut als Ganztagsschulen eignen würden und wo auch die nötigen Räumlichkeiten gegeben sind. Allerdings vermute ich auch, dass derartige Fälle eher die Ausnahme als die Regel sein werden und daher bin ich auch gegen eine verpflichtende Ganztagsschule. Auf freiwilliger Basis mit einem guten Konzept und den notwendigen Räumlichkeiten kann ich mir die Ganztagsschule jedoch schon vorstellen. Wichtig hierbei ist allerdings in erster Linie ob die Kinder das wollen und nicht ob die Eltern das wollen.